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Fortsetzung: Johanna Charlotte Unzer


Nicht Expertinnentum, sondern ein gründliches Allgemeinwissen, das die Erfüllung der weiblichen Pflichten nicht behindert, wird den Frauen empfohlen. An diese Spielregeln hält sich auch Unzers Grundriss einer Weltweisheit für das Frauenzimmer, in dem die Autorin trotz wissenschaftlicher Inhalte ihr Licht unter den Scheffel stellt und zeigt, dass sie ihre natürlichen Grenzen kennt und akzeptiert. Dafür wird Unzer von der modernen Forschung vorgeworfen, keine eigenen Gedanken entwickelt zu haben, sondern sich nur auf bestehende Vorlagen zu beziehen.


Auszug aus: Die Welt der Philosophin, Band 3


Es war ein Ziel der Aufklärung, Bildungsschranken abzubauen, um dadurch Laien und eben auch Frauen durch eine populärwissenschaftliche Vermittlung philosophische Inhalte zugänglich zu machen. Diese Bemühungen stehen im Zeichen einer geistigen Neuorientierung, die mit Christian Wolff und Johann Christoph Gottsched einsetzte und deren Ergebnis die sogenannte Damenphilosophie war, ein Genre, in das sich auch Unzers Grundriss einordnen lässt. Lehrbücher wurden in deutscher Sprache herausgegeben, um so einem breiteren Publikum verständlich zu sein. Doch war Unzer auch hier Ausnahmefrau, denn die meisten Texte zur Damenphilosophie wurden natürlich von Männern verfaßt. Zu ihnen gehört zum einen Bernhard de Fontenelle dessen Entretiens, von Gottsched übersetzt, als Gespräche von Mehr als einer Welt zwischen Frauenzimmer und einem Gelehrten, 1727 erschienen, und zum anderen Francesco Algarotti mit seinem Versuch, das Newtonsche Weltbild für Frauen zu erschließen. Erwähnenswert sind auch die 1768–72 publizierten Briefe an eine deutsche Prinzessin über verschiedene Gegenstände der Physik und Philosophie von dem Mathematiker Leonhard Euler.

Unzer ist darum bemüht, das Image der bescheidenen, wenig schöpferischen Kopistin und Chronistin zu vermitteln und jeden Verdacht von sich zu weisen, die lateinische oder griechische Sprache zu beherrschen. Geschickt vergisst sie dabei allerdings nicht zu betonen, daß sie vom Bildungsnutzen ihres Werkes für das ‘lernbegierige Frauenzimmer’ überzeugt ist.

Ihren gelehrten Anspruch spielt Unzer herunter, indem sie vorgibt, den Text nur auf Druck des Onkels hin zu veröffentlichen. Solche und andere Äußerungen machen die Probleme einer Frau deutlich, die sich Mitte des 18. Jahrhunderts mit den Wissenschaften befaßt und damit an die Öffentlichkeit geht. Nur durch Unterstützung und Lob ihres Lehrers und Onkels Johann Gottlob Krüger, der die Bescheidenheit und Zurückhaltung seiner Nichte hervorhebt, hatte das Werk überhaupt eine Chance auf Erfolg.

Wie einige ihrer männlichen Kollegen geht Unzer davon aus, daß die intellektuelle Gleichrangigkeit der Frau nur eine Angelegenheit der Kompensation bestehender Wissenslücken durch eine gezielte Schulung ist. Zur Philosophie, als Wissenschaft „von den allgemeinen Beschaffenheiten der Dinge“ bezeichnet, sind alle in der Lage, die ihren angeborenen Verstand gebrauchen. Dieser Verstand ist nach Unzer ohne Zweifel beiden Geschlechtern in gleicher Weise zugeteilt.

Inhaltlich bietet Unzers philosophischer Grundriss eine Zusammenfassung und Erklärung der gesamten damaligen Weltweisheit, d.h. zum einen die Hauptwissenschaft, Metaphysik, die Unzer in Anlehnung an Wolff und Baumgarten in vier Hauptteile gliedert: die Grundwissenschaft von der Beschaffenheit der Dinge (Ontologie), die Weltwissenschaft (Kosmologie), die Seelenlehre (Psychologie) und die natürliche Gottesgelehrtheit (rationale Theologie). Auf der anderen Seite steht die Naturlehre, in der sie sich mit der Naturgeschichte (Biologie) von Linnäus und Naturlehre (Physik) von Krüger beschäftigt.

Unzers Grundriss beinhaltet auch die damals aktuelle Debatte zwischen Okkasionalisten und Influxionisten, die im Rahmen der wissenschaftlichen Diskussion um das Leib-Seele-Problem geführt wurde und sich am Zusammenhang zwischen Körperbewegung und Denken entzündete; die Okkasionalisten leiteten ihn von Gott ab, die Influxionisten vom Menschen selbst.

Unzers Zielsetzung war es mit dem Grundriß eine Darstellung der damaligen Weltweisheit vorzulegen, der so geschrieben war, daß auch weniger gebildeten LeserInnen, meist Frauen, dieses Wissen zugänglich gemacht werden konnte. Ihr aufklärerisches Bemühen um die Bildung ihrer Geschlechtsgenossinnen orientierte sich in der Form an den damals populären Moralischen Wochenschriften. Adressiert war der Text an die aufgeklärten modernen Frauen ihrer Zeit

Der Grundriss einer Weltweisheit für das Frauenzimmer fasst die Philosophie als Wissenschaft von den ‘Beschaffenheiten der Dinge’ auf. Die Autorin präsentiert und erklärt nach und nach alle Grundbegriffe der Philosophie und baut das ganze System der ‘Weltweisheit’ mit großem pädagogischen Geschick auf, indem sie zahlreiche bildliche Beispiele, Anmerkungen, Zusammenfassungen und Wiederholungen anbringt. Im Gegensatz zur Baumgartenschen Metaphysik, die in rein mathematischem Stil aus Sätzen und Paragraphen besteht, die sich voneinander logisch ableiten, ist es Unzer auch wirklich gelungen, diese streng akademische Disziplin verständlich und interessant darzustellen. Dabei ersetzt sie systematisch alle Fach- und Fremdwörter, z.B. Ontologie, Psychologie, Prädikat usw., durch geläufigere Begriffe aus ihrer Muttersprache: Grundwissenschaft, Seelenlehre, Beschaffenheit. Um ungeübten Lesern und Leserinnen die wissenschaftlichen Themen nahezubringen, baut Unzer zahlreiche Fabeln, Gedichte, Anekdoten und Beispiele aus der Alltagswelt in den ernsten Stoff ein. Beliebte Quellen für diese heiteren Einschübe sind die Dichtungen Hallers, Gellerts oder Hagedorns. Vor allem Friedrich von Hagedorn wird von ihr immer als geachteter Lehrer erwähnt. Er war damals ein anerkannter Dichter, der als ‘deutscher Horaz’ die literarischen Formen und Weisheiten der Antike neu belebte und sich bemühte die „heidnischen Dichter“ zu rechtfertigen. Auch in der Themenauswahl richtet sie sich hier nach der Bedürfnislage des weiblichen Zielpublikums. Im Rahmen der Begriffslehre spricht sie, um die Schwierigkeit einer klaren Begrifflichkeit vorzuführen, auf den verwirrten Zustand der Verliebten an und veranschaulicht dies mit einer lyrischen Probe.

Philosophische Strenge und flache Albernheiten in unmittelbarer Nachbarschaft ist ein beliebtes Verfahren in Unzers Werk, das einige Kritiker dazu verleitet hat, ihren Text für unsachlich und die Autorin für inkompetent zu halten. Aber trotz des oft amüsanten Plaudertons hat sich Unzer mit größter Sorgfalt im Detail um eine allgemeinverständliche und systematische Darlegung der Philosophie ihrer Zeit bemüht, und auch schwierige Fragen wie die Analyse der Zeit, das Problem des Zufalls oder spekulative Themen wie den Existenzbeweis Gottes nicht ausgelassen.


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