Lexikon


Geschichte


Zeittafel


Themen






Fortsetzung: Tullia D'Aragona

D’Aragonas Geburtsjahr ist unsicher; in der Forschung wird angegeben, dass sie entweder 1508 oder 1510 in Rom geboren wurde. Offiziell war sie einfacher Herkunft, ihr Vater hieß Costanzo Palmieri. Doch sie war wohl die illegitime Tochter von Kardinal Pietro Tagliavia d’Aragon, Erzbischof von Neapel, und der Geliebte ihrer Mutter Giulia Ferrarese. Überliefert ist, dass sie als Kind in, wahrscheinlich durch ihren biologischen Vater, gesicherten finanziellen Verhältnissen lebte, die ihr wissenschaftliche Studien ermöglichten.
Bereits in jungen Jahren erstaunte sie die Besucher ihrer Mutter mit ihren Kenntnissen in Latein und ihrer umfangreichen Bildung in den Bereichen Literatur und Philosophie. Auch ihr Aussehen, ihr Auftreten in der Gesellschaft und ihre musischen Fähigkeiten wurden gerühmt und sie hatte zahlreiche Verehrer.
Die meiste Zeit ihres Lebens verbrachte d’Aragona in Rom, wo sie aktiv am öffentlichen und gesellschaftlichen Leben der Patrizier teil nahm, im Gegensatz zu ihren verheirateten Geschlechtsgenossinnen, die meist davon ausgeschlossen waren. Als Witwe stellte sie sich unter den Schutz von Eleonore von Toledo, mit deren Unterstützung sie ein Buch mit Reimen und Gedichten veröffentlichte, die zum einen Teil von ihr und zum anderen von ihren Verehrern verfasst worden waren. Außerdem schrieb sie ihr heute bekanntestes Werk, den Dialog
Über die Unendlichkeit der Liebe. 1547 erschien der Text zum erstenmal in Florenz, er war Cosimo I., Großherzog der Toskana, gewidmet und wurde von Benedetto Varchi durchgesehen, einem bekannten Humanisten, der Vorlesungen an der Akademie in Florenz hielt. Varchi ist auch der wichtigste Gesprächs­partner d’Aragonas in dieser Diskussion.
Dass d’Aragona sich so ausführlich dem Thema Liebe widmete, hat sicherlich mit ihrem Lebenswandel zu tun, denn sie ist als eine der berühmtesten Kurtisanen in die Geschichte eingegangen. Sie war scheinbar eine ausgesprochen attraktive Frau, auch wenn Zeitgenossen überliefern, dass sie eigentlich nicht dem gängigen Schönheitsideal entsprach. Am Faszinierendsten waren wohl ihre Augen, die als besonders lebhaft und sprühend beschrieben wurden. Und diese körperlichen Vorzüge und deren Wirkung auf Männer, setzte d’Aragona sehr zielgerichtet ein. Zu ihrem Freundeskreis gehörten bekannte Dichter wie Guilio Camillo, Francesco Maria Molza, Kardinal Hypolitos de Medici, Ercole Bentivoglio, Filippo Strozzi, Muzio Lattanzio Benucci, Benedetto Varchi sowie Girolamo Muzio und Pietro Manelli, die sie nicht nur wegen ihrer Schönheit, sondern auch wegen ihres Intellektes und ihrer ausgefeilten Gesprächsführung verehrten.
Durch ihre Herkunft war d’Aragona für die Rolle der Kurtisane prädestiniert, denn auch ihre Mutter Giulia gilt als berühmte Kurtisane. 1526 gingen beide Frauen nach Rom, wo sie schnell genügend Verehrer anzogen, um ihren Haushalt zu finanzieren.
Beleg für ihre Arbeit ist eine Liste der Kurtisanen und ihrer Bewunderer, die vom bekanntesten Zuhälter dieser Zeit, einem gewissen Zoppino, überliefert ist. Darin taucht d’Aragona im Alter von 18 Jahren auf. Sie war damals schon sehr bekannt und hatte eine Reihe von jungen Verehrern aus angesehenen römischen Familien.
20
Finanzielle Probleme bekamen die Frauen durch die Plünderung Roms, die als
Sacco di Roma, in die Geschichte eingegangen ist. 1527 zogen deutsche Landsknechte und Söldner plündernd durch Rom und den Kirchenstaat. Anschließend wurden enorme Steuern erhoben, die sicher auch Tullia und Giulia ihre ganzen Ersparnisse kosteten.
Zwischen 1545 und 46 versuchte d’Aragona, inzwischen in Florenz, in ihrem Haus eine neue Form der akademischen Gesellschaft unter weiblichem Vorsitz zu etablieren. Ihr Plan, dies zu einer festen Einrichtung zu machen, misslang jedoch.
Zeitweise war sie mit ihren Gedichten,
Rime, und ihrem Dialog recht erfolgreich und bekannt, dennoch starb sie 1556 schließlich verarmt in Rom.

Die Arten der Liebe
Als d’Aragonas Hauptwerk gilt der in Dialogform verfasste Text
Über die Unendlichkeit der Liebe. Nach dem platonischen Vorbild war der Dialog im 16. Jahrhundert eine sehr beliebte literarische Ausdrucksform, mit der philosophische Inhalte, aber auch das Wissen der Beteiligten dargestellt wurden. D’Aragonas Text erfüllt die zentralen Bedingungen eines guten Dialogs, nämlich lehrreich und gleichzeitig unterhaltsam zu sein und passt somit zur Literatur der damaligen Unterhaltungskunst. Inhaltlich bezieht sich d’Aragonas Dialog auf Platons Symposion und den Phaidros, ebenso auf die zeitgenössischen Autoren Marsilio Ficino, Sperone und Kardinal Bembo. Vor allem Bembo, der selbst mit seiner Lyrik auf Petrarca und die Neuplatoniker zurückgriff, hatte großen Einfluss auf d’Aragonas Werk.
Der
Dialog gibt ein reales oder fiktives Gespräch zwischen d’Aragona und dem Philosophen Varchi wieder, ein weiterer Teilnehmer im Hintergrund ist Muzio Lattanzio Benucci. Sie selbst schreibt sich die Rolle der Schülerin zu, die Fragen stellt, die dann von Varchi beantwortet werden. Allerdings durchzieht diese Rollenverteilung nicht starr den gesamten Text, sondern wechselt. Natürlich versäumt d’Aragona nicht, ihre eigene Gelehrtheit herauszustellen, und die Bedeutung ihres Dialogpartners Varchi als Philosoph zu betonen. Je deutlicher diese wurde, um so stärker wertete sie auch d’Aragonas Position auf.
Inhaltlich greift d’Aragona die Frage nach dem Schönen und Guten in Verbindung mit der Liebe auf und reflektiert in platonischer Manier das Problem des Verhältnisses zwischen geliebtem und liebendem Teil. Ansatzpunkt ist die Frage, ob Liebe unendlich sein müsse, oder ob es möglich wäre, mit Maß und Grenze zu lieben. Varchi wird von d’Aragona als Fachmann in dieser Frage angesprochen. Er führt den Beweis dafür, dass Liebe kein Ende kenne, indem er auf den Unterschied zwischen dem Substantiv
Liebe und dem Verb lieben reflektiert. Anhand grammatisch-logischer Überlegungen kommt d’Aragona zu dem Schluss, dass Liebe als Substantiv, dem Verb lieben gegenüber eine höhere Stellung zukommen müsse und stimmt so mit Varchi der aristotelischen Theorie von der Überlegenheit der Substanz (Nomen) über das Akzidenz (Verb) zu.
Ein entscheidendes Umdenken erfolgt hinsichtlich der platonischen Bewertung, dass dem liebenden Teil der höhere Rang als dem geliebten zukomme. D’Aragona räumt nämlich dem geliebten Teil den größeren Wert ein und belegt dies am Beispiel Gottes, der Liebender und Geliebter zugleich ist. Der geliebte Teil könne nicht allein als Wirkursache gelten, wie der liebende, sondern müsse auch als Zweck und Ziel verstanden werden. Das Ziel wiederum werde als edelster Grund angesehen, und deshalb komme, so d’Aragona, dem geliebten Teil der höhere Rang zu.
Verschiedene Exkurse führen das Gespräch weiter zu den Fragen, ob die Seele allein oder zusammen mit dem Körper als edler einzustufen und wie die Liebe zu definieren sei. Den Begriff der Liebe beschreibt d’Aragona als das »Verlangen, sich der Gemeinschaft dessen zu erfreuen, der entweder in Wahrheit schön ist oder dem Liebenden doch so scheint.«
21 Sie definiert somit die Schönheit als Ursprung der Liebe, als deren Mutter, die Vaterstelle wird der Erkenntnis dieser Schönheit zugeschrieben.
Zentral bleibt die Kernfrage d’Aragonas an Varchi, ob die Liebe endlich sein könne. Er antwortet, dass die Liebe kein Ende und Ziel hätte, dass Liebe und Lieben nur der Zeit nicht der Substanz nach unterschiedlich seien. D’Aragona räumt ein, dass es Liebende gäbe, die liebten, um ein Ziel zu erreichen, und wenn sie dies geschafft haben, aufhören würden, zu lieben. Varchi entgegnet ihr, dass dies keine wirklich Liebenden und keine echte Liebe sein könne. Die Liebe müsse die Ursache des Liebens sein, nur dann sei sie unendlich und dürfe als Liebe bezeichnet werden. D’Aragona resümiert schließlich, dass es zwei Arten von Liebe geben müsse: »die eine nenne ich gemein und unehrenhaft; die andere aller Ehre würdig oder tugendhaft.«
22 Die erste Form, wird durch das Verlangen hervorgerufen, den Gegenstand der Leidenschaft zu besitzen. Diese Liebenden vergleicht d’Aragona mit wilden Tieren, die nur nach ihren Leidenschaften leben. Wer auf diese Weise liebt, hat ein Ziel vor Augen, wenn es erreicht wird, verwandelt sich die Liebe oft in Hass. Die ehrenvolle und tugendhafte Liebe dagegen gesteht sie nur edlen Geistern zu, die sich durch »Tugend und Adel der Gesinnung« auszeichnen. Eine solche Liebe wird auch nicht durch Leidenschaften hervorgerufen, sondern durch die Vernunft. Das Ziel einer tugendhaften Liebe besteht darin, sich in den Gegenstand der Liebe zu verwandeln, um so zu einer Verschmelzung zu gelangen. Diese Vereinigung findet aber auf einer rein geistigen Ebene statt, da die tugendhafte Liebe keine körperlichen Leidenschaften zulasse. D’Aragona übernimmt hier das platonische Ideal der Liebe, betont aber, im Gegensatz zu Platon, dass auch Frauen zu einer solchen unendlichen Form der Liebe fähig seien. Mit Varchi ist sie der Meinung, dass die Annahme falsch ist, Frauen seien nicht in der Lage, tugendhaft zu lieben, und argumentiert, dass Frauen, würden sie nicht ebenso wie die Männer eine vernunftbegabte Seele besitzen, wohl kaum derselben Gattung angehören könnten.

Auszug aus: Ursula I. Meyer: Humanistinnen, Aachen 2014

Philosophie

weiter lesen






ein-FACH-verlag

www.ein-fach-verlag.de