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Philosophin des Monats Oktober

Olympia Fulvia Morata

Frauenporträt aus der Renaissance

"Eine bemerkenswerte Humanistin", so wird Olympia Fulvia Morata (1526-1555) gerne beschrieben. Genau genommen kommt ihr eine Vermittlerrolle zu, und zwar die zwischen humanistischer Gelehrsamkeit mit protestantischer Theologie. Morata war ausgesprochen gebildet, was ihr nur durch ihren Vater, Fulvio Morata, möglich war. Durch ihn konnte sie, im Gegensatz zu anderen Frauen ihrer Zeit, die klassischen Texte studieren, Latein und Griechisch lernen. Für sie war Bildung nicht Selbstzweck, sondern ein Weg zur Gotteserkenntnis.

Morata war eine frühe weibliche Stimme in einer männlich dominierten Gelehrtenwelt. Sie bewies, dass Frauen gleichberechtigter Teil des intellektuellen Diskurses sein können. Morata verkörperte das Renaissance-Ideal der doctissima puella (hochgelehrten Frau) und ebnete den Weg für nachfolgende Denkerinnen. Obwohl sie nur 29 Jahre alt wurde, hinterließ sie bedeutende Schriften, Dialoge und Briefe.

 

Auszug aus Die andere Philosophiegeschichte von Ursula I. Meyer, Aachen 2007

Zu den wenigen Philosophinnen der Umbruchphase zwischen Renaissance und Neuzeit gehört die aus Italien stammende Olympia Fulvia Morata (*1526, †1555). In Moratas Leben und Werk wird auch der Kampf der Reformation deutlich. Sie war die bedeutendste weibliche Vertreterin des deutschen Humanismus im 16. Jahrhundert und verfügte über eine außergewöhnliche Bildung in den antiken Sprachen und der Literatur. Zu Moratas Lebzeiten hatte der Renaissance-Humanismus seine größte Ausdehnung in Europa erreicht und befand sich bereits im Übergang zum Denken der naturwissenschaftlich orientierten Neuzeit. Die von Morata verfassten Texte gingen auf ihrer Flucht weitgehend verloren. Doch die beiden erhaltenen Dialoge, etwa aus der Zeit um 1550, zeigen ihren humanistischen Ansatz. Der erste Dialog, der zwischen Olympia und ihrer Freundin Lavinia stattfand, enthält einen Rückblick auf ihren bisherigen Lebensweg. Der Text entstand etwa zur Zeit ihrer Heirat und sie beschreibt darin die Anfänge ihres Wissensstrebens. Sie erzählt, dass sie sich anfangs nur für einen reinen, an der Antike orientierten Humanismus begeistern konnte. Später wandte sie sich dem Protestantismus zu, was dann in eine ganz der Anbetung Gottes hingegebene Glaubenshaltung mündete, die sich auch in ihrer Lektüre und ihren Texten niederschlug.

Morata war an verschiedenen Fürstenhöfen aufgewachsen, wo ihr Vater als Erzieher arbeitete. Sein Hang zum Protestantismus führte allerdings zur Verbannung der Familie. Morata wurde bereits sehr früh zum klassischen Studium angeregt, und es ist überliefert, dass sie schon mit drei Jahren die Paradoxa des Cicero in Latein deklamieren konnte. Mit sechs Jahren sprachen ihr die gelehrten Freunde des Vaters ihre Bewunderung für ihr Können aus; mit 12 Jahren beherrschte sie perfekt Latein und Griechisch und verfügte über umfangreiche Kenntnisse in den Freien Künsten. Olympia wurde als Wunderkind gefeiert und auch Renée von Ferrara (Tochter des französischen Königs Ludwig XII. und Anne de Bretagne) wurde auf sie aufmerksam. Renée repräsentierte das reformatorisch gesinnte Italien. 1540 berief die Fürstin Olympia Morata an den Hof und ernannte sie zur Gesellschafterin und Studiengefährtin der einige Jahre jüngeren Prinzessin Anna. Morata erhielt wie ihre Freundin bekannte Lehrer und die beste Ausbildung in den humanistischen Fächern. Unterrichtet wurden sie von Johann Senf, dem aus Schweinfurt in Unterfranken stammenden Leibarzt der Königin. In dieser Zeit konnte Morata ihr Wissen erweitern und damit beginnen, eigene Texte zu verfassen. Bereits mit 14 Jahren wurde sie in einem Katalog berühmter GegenwartsautorInnen aufgeführt. Ein Jahr später schrieb sie drei Essays über Ciceros Schrift Paradoxa Stoicorum, die sie als viel beachtete öffentliche Vorlesung an der herzoglichen Akademie vortrug. Sie verfasste Dialoge in Griechisch und Latein, in denen sie Platon und Cicero imitierte; erhalten sind noch Briefe und die Übersetzungen zweier Novellen aus dem Decamerone. Olympia Morata bildete den geistigen Mittelpunkt des Hofes von Ferrara und gründete einen philosophischen Zirkel, der sich vor allem mit der Lektüre Ciceros befasste. Für Morata war das Studium der klassischen Lehren keine unchristliche Angelegenheit, und gerade Cicero ließ sich nach ihrer Meinung gut mit der christlichen Religion vereinbaren.

Der Einfluss der Gegenreformation, der seit 1542 immer stärker zu spüren war, veränderte auch die Stimmung in Ferrara. Und Morata, die aus persönlichen Gründen den Hof verlassen hatte, wurde zu verstehen gegeben, dass ihre Rückkehr nicht erwünscht sei. 1549 heiratete sie den jungen deutschen Gelehrten und Arzt Andreas Grundler. Da beide vom protestantischen Gedankengut überzeugt waren, mussten sie, um der Verfolgung zu entgehen, aus Italien fliehen. Zusammen mit Grundler gingen Morata und ihr jüngerer Bruder Emilio in dessen deutsche Heimat zurück. Dorthin waren bereits andere bekannte und befreundete Gelehrte geflohen, da sich hier die Reformation weiter ausgebreitet und gefestigt hatte als in Italien. Nach mehreren Stationen, die Morata bei befreundeten Familien verbrachte, landete sie schließlich in Schweinfurt. Dort entstand Moratas zweiter Dialog, der wieder von Lavinia und ihr selbst geführt wird, diesmal treten sie unter den Decknamen Philotima und Theophila auf. Anstoß zu diesem Text war die Sehnsucht Lavinias nach ihrem Mann, Graf Orsini, der weit entfernt am Krieg teilnahm. Morata versucht hier im Stil der pythagoreischen Philosophinnen als Seelsorgerin ihrer Freundin aus der selbstquälerischen Haltung zu helfen, die sich mit ihrer Enttäuschung über die Kinderlosigkeit der Ehe mischte. Hauptthema des Dialoges ist deshalb die Frage nach dem Recht auf ein irdisches Glück und nach dem Sinn des Leidens. Morata führt Lavinia vor Augen, dass im Vergleich zu den Leiden der Märtyrer ihre verschwindend und nicht erwähnenswert seien; sie solle sich Gott anvertrauen, anstatt zu jammern. Außerdem solle Lavinia sich hüten, sich in Äußerlichkeiten zu verlieren, um ihre Sehnsucht zu verdrängen, denn nicht der äußere Schmuck sei wichtig, sondern das Strahlen der Seele. Zu ihrer Verteidigung räumt Lavinia ein, dass es auch im Alten Testament schöne Frauen gegeben hätte, die reich und trotzdem fromm waren. Morata erwidert, dass diese Frauen in erster Linie fromm waren und sich für ihr Volk opferten und dass ihre Schönheit eine Gabe Gottes gewesen sei, aber kein unnötiger Putz.

Morata befasste sich nun, bedingt durch die Wirren der Gegenreformation in ihrem protestantischen Glauben gefestigt, stärker mit religiösen Themen. Entgegen ihrer ursprünglichen Abneigung, sah sie sich wegen der zunehmenden Verfolgung der ProtestantInnen dazu genötigt, Stellung zu beziehen. So wurde Morata, die eher eine Zweiflerin gewesen war, zur Kämpferin für die Reformation.

Bei der überstürzten Flucht aus Schweinfurt wurden Moratas sämtlichen Aufzeichnungen, Bücher und Unterlagen zerstört, so dass nur sehr wenige ihrer Schriften durch Bekannte und FreundInnen erhalten sind. Nur ihre späteren Texte, wie die Dialoge, einige Fragmente, die sie Freunden geschickt hatte, und Briefe sind überliefert.

Zuflucht fand die Familie zuerst in Rieneck und später bei den Grafen von Erbach im Odenwald, die sich dann bei Friedrich II. von der Pfalz für Grundler einsetzten. So wurde ihm im Juli 1554 ein Lehrstuhl an der Universität Heidelberg angeboten, wo Protestanten keine Verfolgung zu befürchten hatten. Allerdings konnten sie davon kaum profitieren, da Morata und ihr Mann, geschwächt durch die jahrelange Flucht, bald starben.

Die Angabe, dass Morata kurz vor ihrem Tod als erster Frau ein Lehrstuhl für Griechisch und Literatur an der Universität Heidelberg angeboten wurde, kann durch die erhaltenen Dokumente nicht belegt werden.

Der Kampf zwischen den beiden wichtigsten christlichen Glaubensrichtungen hat Moratas Leben und Werk entscheidend geprägt. Und er wird auch die zukünftigen Generationen von männlichen und weiblichen Gelehrten prägen, da die gegenseitige Verfolgung immer massiver wurde. Jeder Ansatz abweichenden Denkens konnte die Angriffe von Seiten einer oder beider Religionen nach sich ziehen.

  

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