Lexikon


Geschichte


Zeittafel


Themen






Fortsetzung Emilie du Châtelet


Emilie du Châtelet: Wegbereiterin für Newton

Gabrielle-Emilie du Châtelet-Lomont (*1706, †1749) gehört zu den bedeutendsten französischen Philosophinnen. Sie war Anhängerin von Newton und Leibniz, kritisierte die cartesianische Trennung von Leib und Seele. Deshalb ist es nahe liegend, dass sie eine maßgebliche Rolle bei der Durchsetzung von deren Texten in Frankreich spielte, vor allem durch ihre Übersetzung von Newtons Hauptwerk, Philosophiae naturalis principia mathematica. Sie übertrug es aus dem Lateinischen, ergänzte es durch zwei umfangreiche Kommentare und würdigte damit erstmals auf dem Kontinent, wo noch die cartesianische Physik vorherrschte, Newtons Werk.

Außerdem unterstützte sie Voltaire bei der Ausarbeitung seiner Éléments de la philosophie de Newton. Dieses Werk stellt die newtonsche Gravitationstheorie und Optik in einer für ein breiteres Publikum verständlichen Art und Weise dar. Zur Unterstützung dieser Abhandlung schrieb Châtelet 1738 eine anonyme Rezension mit dem Titel Lettre sur les éléments de la philosophie de Newton.

Mit Voltaire verband Châtelet eine ganz besondere Beziehung. Als sie seine Bekanntschaft machte, war dieser bereits ein gefeierter Wissenschaftler. Sie bot ihm ihren Landsitz in Cirey-sur-Blaise als Zuflucht an als Voltaire für die Veröffentlichung seiner Lettres philosophiques verbannt werden sollte. Sie wollte Cirey zu einem Zentrum des geistigen Lebens machen und Voltaire war ihr Zugpferd.

Châtelet nahm, um die Mängel ihrer Bildung auszugleichen, Privatstunden bei Maupertius, einem Anhänger Newtons. Sie fand Interesse an Mathematik und Physik und als Voltaire die Eléments de la philosophie de Newton verfasste, steuerte sie ihr mathematisches Wissen bei.

1737 lobte die Académie des Sciènces einen Preis für Beiträge über die Natur des Feuers und der Wärme aus. Voltaire beteiligte sich und Châtelet nahm heimlich ebenfalls teil. Während Voltaire sich für diese Arbeit ein eigenes Labor eingerichtet hatte, musste Châtelet ohne experimentelle Überprüfung ihrer Hypothesen auskommen, nur so konnte sie ihre Arbeit vor ihm verstecken. Keine von beiden gewann den Preis, doch zu diesem Zeitpunkt entfernten sie sich bereits gedanklich voneinander. Châtelet distanzierte sich von Voltaires antimetaphysischer Haltung und war davon überzeugt, dass eine Naturwissenschaft ohne metaphysische Grundlegung unvollständig sei.

Das erste wissenschaftliche Werk, das Châtelet 1740 veröffentlichte waren die Institutions de Physique. Darin ergreift sie Partei für die leibnizsche Dynamik, die im Gegensatz zur cartesianischen stand und in Frankreich vollkommen unbekannt war. In ihren Institutions favorisiert sie den leibnizschen Kraftbegriff, der heute der mechanischen Energie entspricht, und proklamiert das Prinzip der mechanischen Energieerhaltung.

Unter den Besuchern in Cirey war auch der Italiener Algerotti, der das Werk Le Newtonianisme pour les dames verfasst hatte. Und da Châtelet selbst eine Bewundererin Newtons war, entstand die Idee, die Prinzipia ins Französische zu übersetzen. Es wurde ihr Epoche machendes Werk und gilt bis heute als die französische Standardübersetzung.

Unsicherheit und die eigene Unkenntnis verfolgten Châtelet zeitlebens. Sie hielt die Leistungen von Frauen generell für mangelhaft und führte das auf ihre unzureichende Erziehung zurück. Um ihre persönlichen Lücken auszufüllen, engagierte sie sich bekannte Lehrmeister, so wie Samuel König, einen Schüler des deutschen Aufklärers Christian Wolff. Die Arbeit an ihrem Text über Newton, ursprünglich war dieser als Einführung für ihren Sohn geplant, hielt sie geheim, und König half ihr unwissentlich, indem er das Manuskript korrigierte. Als er bemerkte, dass er nicht nur ihre privaten Aufzeichnung, sondern ein Manuskript bearbeitete, war er beleidigt und rächte sich, indem er ihre Autorinnenschaft publik machte. Außerdem behauptete er, er selbst sei der Autor des Textes und Châtelet habe seine Aufzeichnungen lediglich ins Reine geschrieben. Nach dem Bruch mit König fand Châtelet keinen Lehrer mehr, dem sie vertrauen konnte und schrieb das Buch alleine zu Ende.

Dennoch war Châtelet eine selbstbewusste Frau. Sie brach mit der Sitte, dass nur Männer in Cafes für Intellektuelle gingen. Als die Geschäftsleitung sie bat, das Lokal zu verlassen, ließ sie sich einen Anzug schneidern und kam in Männerkleidern wieder. Diese Dreistigkeit würdigend, lud Maupertius sie an seinen Tisch ein und so erhielt sie Zugang zur intellektuellen Welt der Männer.

Châtelet zentrales Anliegen war neben der Verbreitung der modernsten Erkenntnisse der damaligen Physik auf dem Kontinent deren Systematisierung und wissenschaftstheoretische Fundierung. In ihrer Wissenschaftsphilosophie bemühte sie sich, dem Zusammenhang von Theorie und Experiment gerecht zu werden. Dabei zieht sie die leibnizschen Erkenntnisprinzipien zur Begründung der newtonschen Physik heran. Erkenntnistheoretisch ist Châtelet auf der Suche nach einem Mittelweg zwischen dem Empirismus auf der einen und dem Rationalismus auf der anderen Seite. Allerdings gelang erst Kant diese Synthese. Châtelets Originalität liegt darin, diese wegweisende Fragestellung aufgeworfen zu haben. Ihre Zeitgenossen hielten sich entweder mit einer Fehlinterpretation der newtonschen Physik auf, die das Experiment ganz und gar in den Vordergrund stellte oder sie räumten, noch mit Berufung auf die cartesianische Physik, der Vernunft den absoluten Vorrang gegenüber der Erfahrung ein.


Trotz anhaltender Versuche und wichtiger Forschungsarbeit der Wissenschaftlerinnen war für die Aufklärer ihr Laienstatus unverrückbar. Was hätten sie auch anderes sein können, in einer Zeit, die den akademischen Status immer stärker abgrenzte? Indem man den Frauen den Zugang zu den Akademien verbot, hatten sie auch bis ins 20. Jahrhundert keine Möglichkeit, ihren Laienstatus abzulegen.


Weiter zum Lexikon

Philosophie

weiter lesen






ein-FACH-verlag

www.ein-fach-verlag.de