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Philosophin
des Monats November
Elizabeth Cady Stanton (1815-1902)

„When Clowns make Laws for
Queens“ ist nur einer von vielen
treffenden Aussprüchen, mit denen die Philosophin und
Frauenrechtlerin ihre
Zuhörerin ihren Bann zog. Angefangen mit der Declaration of
Sentiments in Seneca
Falls, dem Auftakt der amerikanischen Frauenrechtsbewegung bis hin zur
Solitude
of Self, einem Plädoyer für die persönliche Autonomie
jeder Frau, hat Stanton
eine Flut an Reden, Briefen und Vorträgen verfasst. Darin deckt
sie gnadenlos
die gesellschaftlichen Machtstrukturen auf, mit denen Frauen
unterdrückt und
ausgeschlossen werden. Sie argumentiert, dass jede Person –
unabhängig von
Geschlecht – das Recht und die Pflicht habe, das eigene Denken,
Handeln und
moralische Urteil selbst zu bestimmen. Damit stellt sie die Vorstellung
infrage, Frauen seien von Natur aus für ein Leben in
Abhängigkeit bestimmt.
Stanton kritisiert
auch die religiösen und rechtlichen
Grundlagen der Geschlechterordnung ihrer Zeit. In ihrem Text The
Woman’s Bible interpretiert
sie die Texte völlig neu und macht deutlich, dass die
Frauenfeindlichkeit der
Kirche vor allem auf die Kirchenmänner und deren Bibelauslegung
zurückzuführen
ist. Außerdem fordert sie Bildung, ökonomische
Unabhängigkeit und politische
Teilhabe als Voraussetzungen wahrer Freiheit. Mit ihrem radikalen
philosophischen Humanismus setzt sie die Selbstbestimmung des
Individuums über
jede gesellschaftliche oder kirchliche Autorität.
Auszug
aus Frauenrechtlerinnen, von Ursula I. Meyer,
Aachen 2021
Obwohl es hier keine
soziale Revolution wie im europäischen Mutterland gab, spielte
dennoch das Jahr 1848 eine Schlüsselrolle für die
amerikanische Frauenbewegung. Auch die gesellschaftliche Entwicklung
weist durchaus Parallelen auf. Wie in Europa hatte die industrielle
Revolution die Arbeitskräfte, männlich wie weiblich, in die
Fabriken gezwungen mit den üblichen gesellschaftlichen Problemen:
Dominanz der technischen Entwicklung in immer dichter besiedelten
Städten. Noch größer war aber das Problem der
Sklavenwirtschaft in den Südstaaten, wo fast vier Millionen
schwarzer Menschen in Leibeigenschaft gehalten wurden.
1848 gab es eine Revolution der Frauen. In diesem Jahr fand
nämlich der erste Frauenkongress in Seneca Falls statt. Er gilt
als Beginn der amerikanischen Frauenbewegung. Die Anführerinnen
waren Lucretia Mott und Elizabeth Cady Stanton, die sich 1840 bei der
World-Anti-Slavery-Convention in London kennengelernt hatten. Dort
wurden sie von der Teilnahme ebenso ausgeschlossen, wie in der
Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten, in der es
hieß: »Alle Männer sind gleich geschaffen
worden.«
Anlässlich der Seneca-Falls-Convention verfassten beide eine
Erklärung, die als Grundlage der Frauenbewegung gilt und in der
sie gleiche Rechte und Möglichkeiten im Beruf, das
Verfügungsrecht verheirateter Frauen über ihr Eigentum,
bessere Ausbildung, Abschaffung der familiären Versklavung der
Frauen und das Wahlrecht forderten. In der Schlussbemerkung heißt
es: »Nun im Angesicht dieser gänzlichen Freiheitsberaubung
von einer Hälfte des Volkes dieses Landes, ihrer
gesellschaftlichen und religiösen Erniedrigung – im
Angesicht der oben erwähnten ungerechten Gesetzgebung und weil die
Frauen sich selbst erniedrigt, unterdrückt und auf ungerechte
Weise ihrer heiligsten Rechte beraubt sehen, bestehen wir darauf, dass
sie sofortigen Zugang zu allen Rechten und Privilegien bekommen, die
ihnen als Bürgerinnen dieser Vereinigten Staaten zustehen.«
Die Declaration of Sentiments (Meinungserklärung) wurde zum
Meilenstein für die Arbeit der Frauenrechtlerinnen, denn in ihr
sind bereits alle Forderungen enthalten, die die Frauen sich in den
kommenden 50 Jahren mühsam erkämpfen werden.
Zwischen 1850 und 1860 fanden jährlich nationale Frauenkongresse
in den Vereinigten Staaten statt. Von der Versammlung in Worcester
Massachusetts 1850 berichtete Harriet Martineau in der Westminster
Review, einer britischen Zeitschrift, die vor allem internationale und
innovative Themen, wie die Evolutionstheorie aufgriff.
Da es noch keine nationale Frauenrechtsorganisation gab, waren die
Versammlungen die einzige Möglichkeit sich auszutauschen und die
Ideen zu bündeln. Die Frauen verfeinerten ihre Methoden und
versuchten sich mit Petitionen einzubringen. Durch die politische
Arbeit wurden sie immer mutiger und gaben ihren Kampfgeist auch an ihre
Töchter weiter.
Gekoppelt war der Kampf der Frauen auch weiterhin an den gegen die
Sklaverei. Die Parallele zwischen der Situation der Frauen und der der
Sklav*innen war schon häufiger gezogen worden, allerdings lagen
Sklavenbefreiung und Frauenbewegung nirgendwo so dicht beisammen wie in
den USA. So trat Stanton bei abolitionistischen Kongressen auf,
zeitgleich reisten die Grimke-Schwestern als Rednerinnen gegen die
Sklaverei durch viele Bundesstaaten.
Doch frei von Rassismus waren auch die eigenen Reihen der
Frauenrechtlerinnen nicht, vor allem schwarzen Frauen gegenüber,
gab es eine ablehnende Haltung. Diese hatten den niedrigsten Status,
was sich besonders deutlich durch die Frauenrechtlerin Sojourner Truth
ins kollektive Gedächtnis des Landes eingebrannt hat. Isabella, so
ihr Geburtsname, war als Sklavin geboren worden und nachdem man sie
freigekauft hatte, schloss sie sich einer religiösen
Erweckungsbewegung an (dort nahm sie den Namen Sojourner Truth an) und
zog später als abolitionistische Predigerin durchs Land. So kam
sie 1851 zur Frauenrechtsversammlung in Akron (Ohio) und als sie dort
sprechen wollte, schlug ihr wegen ihrer schwarzen Hautfarbe Ablehnung
entgegen. Mrs. Gage, die Versammlungsleiterin erteilte ihr das Wort und
ihre Sätze sind in die Geschichte eingegangen.
Mit ihrer Grundsatzrede And ain’t I a woman?! Stellte sie
provozierend die Frage: Was ist überhaupt eine Frau? und welche
Werte gehen mit dieser Klassifizierung einher? »Der sagt, dass
Frauen beim Einsteigen in eine Kutsche geholfen werden müsse, dass
sie über Gräben gehoben werden müssen und dass ihnen
überall der beste Platz zusteht. Niemand hilft mir jemals in
Kutschen oder über Schlammpfützen oder gibt mir den besten
Platz! Bin ich denn keine Frau? Seht mich an! Seht meine Arme! Ich habe
gepflügt, gepflanzt und die Ernte eingebracht, und kein Mann sagte
mir, was zu tun sei! Bin ich denn keine Frau?«
Eine wichtige Rolle in der Frauenbewegung spielte auch die befreite
Sklavin Harriet Tubman. Sie war als junges Mädchen nur knapp dem
Tod entronnen, nachdem ein Eisengewicht, das ein Aufseher nach einem
Sklaven geworfen hatte, ihren Schädel traf. Nach dem Tod ihres
Herrn ging sie allein nach Pennsylvania und wurde Teil der Underground
Railroad, einem Netzwerk von Schleusern und sicheren Unterkünften,
mit dem Sklaven aus dem Süden in den Norden flüchten konnten.
Es wurde sogar ein extrem hohes Kopfgeld auf sie ausgesetzt.
Der Kampf der Frauen um ihre Rechte fand hauptsächlich im Norden
der USA statt, im Süden kam die Frauenbewegung nicht so wirklich
in Gang, weil der Ausgangspunkt, die abolitionistische Bewegung, fehlte
und man eher damit beschäftigt war, die Sklaverei zu verteidigen.
Die Grimkes gehörten zu den wenigen Südstaatlerinnen, die
sich dagegen einsetzten und sie konnten das nur tun, wenn sie in den
Norden gingen.
Das Frauenbild im Süden war noch rückständiger als das
im Norden. Die Männer wurden wegen ihrer Ritterlichkeit
stilisiert, und die Frauen waren nur Püppchen, die keinen Schritt
ohne männliches Geleit machen durften. Das war das Ideal, das man
mit den Plantagenbesitzern, der Oberklasse verbunden hat, wie aus einem
Film mit Scarlett O‘Hara. Aber auch im Süden gab es zahllose
kleine Farmen, die von Familien ohne Sklaven bewirtschaftet wurden,
doch auch über ihnen schwebte das Ideal der abhängigen
Vorzeigefrau.
Denn das Frauenbild hatte sich nach und nach verändert. Nicht mehr
die starke kämpferische Siedlerin, die mit der Winchester Haus und
Hof verteidigt, war nun gefragt, sondern die zurückhaltende
Hausfrau, die im Hintergrund die Familie versorgt und dem Mann den
Rücken freihält. Damit wirkte auch hier die patriarchale
Propaganda, die den Frauen ein Gefühl der Wertlosigkeit
vorgaukelte und das gleiche Frauenbild vermittelte, das es in Europa
schon längst gab.
Dem gesellschaftlichen folgte auch schnell der Ausschluss aus
finanziellen Angelegenheiten, um ihre »schöne« Seele
nicht zu korrumpieren, die den Frauen als Ausgleich für
Eigenständigkeit verpasst wurde. Die patriarchale Gesellschaft
arbeitete auf allen Ebenen daraufhin, die Frau ins Haus zu verbannen.
Die Kirche führte, nach Angelina Grimkes Worten, Krieg gegen den
Geist und die Seele der Frauen. Die Medizin verordnete ihnen
Passivität und Bewegungslosigkeit, sollte einmal eine gegen das
Eingesperrtsein aufbegehren.
Bestes Beispiel für ein solches Verfahren ist die Philosophin
Charlotte Perkins Gilman, der zur Therapie einer postpartalen
Depression eine Ruhekur verordnet wurde, bei der sie eingewickelt
mehrere Wochen lang praktisch unbeweglich liegen musste. Für die
agile junge Frau bestimmt eine Folter. Sie hat diese Erfahrung in ihrer
berühmt gewordenen Kurzgeschichte Die gelbe Tapete verarbeitet, in
der die Protagonistin in der Abgeschiedenheit wahnsinnig wird.
In den meisten Romanen und Novellen wurde aber das von der Gesellschaft
gewünschte Bild transportiert und man machte den Frauen vor, dass
sie durch ihre Schönheit und ihre Sexualität Einfluss auf die
Männer hätten.
Doch die Frauen fanden Schlupflöcher, trafen sich zu Lese- oder
Handarbeitskreisen und sehr innige Frauenfreundschaften entstanden, die
durch Briefwechsel belegt sind und in die Frauen viel Energie
investieren konnten, oder sie engagierten sich in
Wohltätigkeitsvereinen. Dadurch wurden die Frauen praktisch
unsichtbar und so fiel den Männern auch ihre Radikalisierung in
der Wahlrechtsbewegung zuerst gar nicht auf.
Zwar griffen die amerikanischen Frauen nicht zu gewalttätigen
Mitteln, aber sie stellten sich auf den Standpunkt, ohne volle Rechte
als Bürgerin, könne auch niemand von ihnen verlangen Steuern
zu bezahlen. Also weigerte sich Lucy B. Stone 1858 so lange, bis ihr
gesamtes Eigentum gepfändet und versteigert wurde.
Wirkungsvoll waren auch Vortragsreisen aktiver Frauen wie Stanton oder
Stone. Ganz besonders engagiert war hier Susan B. Anthony. Sie war 1851
zur Gruppe um Stanton gestoßen und wurde nicht nur deren
lebenslange Freundin und Wegbegleiterin, sondern auch eine wichtige
Leitfigur der Bewegung. Sie stammte aus einer bekannten
Quäkerfamilie in Massachusetts und war eine energische Frau, die
sich ihren Weg bis zur Rektorin der Canajaharie-Akademie erkämpft
hatte, und das ohne selbst eine richtige Schulbildung zu besitzen. Die
Ungerechtigkeiten gegenüber den Lehrerinnen ließen sie den
Beruf aufgeben und wieder auf die väterliche Farm
zurückkehren. Die spannenden Erzählungen der Mutter, die beim
Frauenrechtskongress in Rochester dabei gewesen war, weckten Anthonys
Interesse an den Leitfiguren der amerikanischen Frauenbewegung, Stanton
und Mott. Durch Frederick Douglass kam sie erst zu den Abolitionisten
und dann zu den Temperenzlern. Dort immer wieder mit Geldproblemen
konfrontiert, wurde ihr bewusst, dass Frauen ohne eigenes Einkommen
niemals unabhängig sein würden. Deshalb sammelte sie
Unterschriften für eine Gesetzesvorlage in New York, in der es um
drei Reformen ging: die Kontrolle über das eigene Einkommen, die
Vormundschaft der Frauen für die Kinder und das Wahlrecht.
Zusammen mit 60 Frauen, eine aus jedem Distrikt des Bundesstaates zog
sie umher, um Unterstützerinnen zu finden.
Allein reisende Frauen waren damals ein Novum, die
Übernachtungsmöglichkeiten primitiv und die Versorgung
katastrophal. Trotzdem schafften es die Frauen in 10 Wochen 6000
Unterschriften zu sammeln. Ihr Plan war es, zeitgleich mit der Tagung
des Parlamentes einen Frauenkongress in Albany abzuhalten, und ihm dann
die Petition vorzulegen, um eine Anhörung der Gesetzesvorlagen zu
erreichen. Und die Frauen schafften es. Stanton hielt eine flammende
und gut recherchierte Rede über die Benachteiligung der Frauen.
Das Gesetz kam zwar nicht durch, aber den Männern war nun klar,
dass sich die Frauen nicht mehr so leicht abwimmeln lassen würden.
Und das taten sie auch nicht. Sie sammelten noch mehr Unterschriften.
Im Jahrhundertwinter von 1855 machte sich Anthony wieder auf, zog mit
Druckschriften und Petitionen und einem kleinen Budget von 50 $
bewaffnet los. Sie beschaffte sich selbst jeweils den Vortragsraum,
machte Werbung, um Publikum zu gewinnen, manchmal nahm sie ein bisschen
Geld ein, das aber in der nächsten Stadt schnell wieder verbraucht
war. Und das alles bei Eiseskälte und Unmengen von Schnee.
Schließlich froren ihr fast die Füße ab. Im Mai kam
sie nach Rochester zurück und hatte fast alle 60 Distrikte
bereist, ihre Botschaft verbreitet und sogar noch 76 $
übrigbehalten.
Und wie reagierte der Rechtsausschuss der Versammlung, als ihnen die
Unterschriften vorgelegt wurden? Respekt vor der Leistung? Die
Männer lachten. Ein Beleg dafür, dass sie nur
überspielen wollten, dass sie keine Ahnung hatten, wie sie
reagieren sollten. Stanton sprach vier Jahre später wieder vor
beiden Häusern in Albany, Hauptstadt des Bundesstaates New York,
und spätestens jetzt war den Männern klar, dass eine neue
politische Größe auf den Plan getreten war. Und sie
verabschiedeten ein Gesetz, das den verheirateten Frauen das Recht an
ihrem Eigentum und ihrem Einkommen zusicherte.
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